07.12.2013 Südkurier

Konstanz 

Neue Begegnung mit dem Ur-Sänger im Stadttheater
Der Abend hieß „Dating Orfeo“ – Treffen mit dem antiken ersten „Pop-Star“. So wurde er in kurzer Ansprache tituliert. Dazu kam auf der Bühne eine Stimme in Person der Sopranistin Catrin Kirchner, Dreifach-Gitarrist mit Steckdose (Johannes Öllinger), im Parkett sechs Hörer, zwei Feuerwehrleute, je ein Beleuchter und ein Rezensent. Dennoch gab es am Ende Applaus für eine Zugabe und vier „Vorhänge“. Was die kleine Menge der Kunstenthusiasten erlebte, war ein emotionsgeladenes, artistisch gelungenes Stelldichein mit großer Orpheusmusik: Klasse und klassisch zugleich, technisch gekonnt und künstlerisch fantastisch, alt und neu gemischt in jedem Satz. Die Vorlagen, die nie ins Unkenntliche wegrhythmisiert wurden, sondern in der melodischen und stilistischen Eigenheit lebendig blieben, stammten von Monteverdi, Dowland, Vivaldi, Händel, Purcell – und ein romantisch schwermütiges Schumann-Lied war auch dabei. Nichts langweilte durch museale Klang-Rekonstruktion, alles tönte nach frischer und vitaler Aufbereitung kostbarer Musikschätze. Beim „dating“ wurden alle Gefühle mit bester, optisch behutsam inszenierter Kunst der Nachempfindung empfohlen. Erst griff der Gitarrist in die Elektro-Saiten und ließ die berühmte Gonzaga-Fanfare wie orchestral erschallen. Später konnte er auf „akustischer“ Gitarre auch das Zärtliche oder Elegische in die Ohren schmeicheln.
 
Die Sängerin gab zu den teilweise poppig verdichteten Rhythmen und dissonanten Ballungen des Instruments gewaltige Psychodramatik. Welche Raserei in Caccini- oder Händelarien mit düsterer Tiefe und Koloraturleidenschaft! Wenn es zu opernhaft wurde, mischte der Spieler Jazz-Rhythmen, hart verknotete Akkord-Vieltönigkeit ein oder spielt zu einer Villanelle auf, einer Pop-Nummer aus der Madrigal-Zeit. Die Sopranistin trug Vivaldis wilde Judith-Arie vor, als wollte sie sich in Rage singen, um den Feind Holofernes entschlossener zu köpfen. Mitreißend wie Oper war's, wie sie das Lamento der Karthago-Königin über dem Halbton-Bass zur wüsten Totentanz-Chaconne steigerte, wie sie den Händelschen Xerxes bis zur Raserei beschleunigte und der Gitarrist dazu heftige Akzente fetzte. Dagegen rührte die Armida-Klage mit weit geatmeter traurig-schöner Melodie zu mehr gestreichelten als gezupften oder gerissenen Saiten.
 
Wunderbares „dating“ : Orpheus-Erinnerung und Feinst-Gitarre mit Stromanschluss. Man erlebte, genoss musikalisches „Regietheater“ (samt etwas Gestik und Kulisse), dem eine intime Begegnung von antikem Klang und modernem sound gelang, ohne dass eines von beiden Schaden an seiner Seele nahm. (Helmut Weidhase)

 

 27.11.2013 Bad Kötztinger Zeitung