27.02.2012 Tagesspiegel Berlin

KLASSIKCOLLAGE

Zickig: „Miss Elvira“ im Radialsystem

 

Wütend, mit zerstörtem Make-up und viel zu dünn angezogen stöckelt die Frau auf der Videoprojektion durch einen Gutspark und ist wenig später live auf der Bühne des Radialsystems angelangt. Wir dürfen sie als die betrogene Geliebte von Mozarts Don Giovanni identifizieren. Es sind Bruchstücke aus dieser Oper, die sie zu verzerrten

E-Gitarren-Klängen ausstößt – und die Produktion der Andreas Bode Company, deren Berlinpremiere wir erleben, heißt ja auch „Miss Elvira“. Eigentlich ist es aber egal, wer die Frau ist, und welche traumatische Beziehung sie gerade beendet hat.

Entscheidend ist, dass dringend eine neue Beziehung her muss. Der einzige Mann auf der Bühne ist der Gitarrist (Johannes Öllinger). Ein wortkarger Typ, der Adiletten trägt und sich hinter seiner Musik versteckt. Um ihn zu gewinnen, ist Elvira alles recht. Sie will ein romantisches Dinner, er stellt ihr kalte Spaghetti hin – mit denen sie so lange herumalbert, bis sie ihn doch ins Bett kriegt. Dort wird man sich dann anzicken bis zur Scheidung.

Dieses Drama mit Beziehungssprech und Schumanns Liederzyklus „Frauenliebe und Leben“ zu kombinieren, ist gewagt. Und funktioniert. Im Munde eines Menschen, der sich seine Beziehung schönredet, werden die alten Texte plötzlich zeitgenössisch. Catrin Kirchner singt ihre Partie, in die barocke Bravourarien einmontiert sind, sehr ordentlich. Vor allem aber sind es ihr Spiel und die von der Musikmontage bis zur Personenführung auf vielen Ebenen wirkende Regie von Andreas Bode, die dem Experiment Leben verleihen. Carsten Niemann

 

17.11.2011 Hamburger Abendblatt


Premiere in der Opera Stabile: Don Giovanni reloaded 

 

Andreas Bode hat die Geschichte von Mozarts Donna Elvira weitergesponnen:

Seine furiose "Miss Elvira" in der Opera Stabile HAMBURG. Wir wissen es ja längst:

Frauen und Männer passen nicht zusammen. Und wen von beiden interessiert das wohl mehr? Zumindest bei derPremiere von "Miss Elvira" in der Opera Stabile war die Antwort klar: Gefühlte 90 Prozent des Publikums waren weiblich. Regisseur Andreas Bode dekliniert das Menschheitsthema frei nach dem Ratgebertitel: "Wenn Frauen zu sehr lieben" gleichsam am lebenden Objekt durch. Seine Titelfigur, besser bekannt als Donna Elvira, die unglückliche Verlassene aus Mozarts "Don Giovanni" und die reinrassigste Hysterikerin der Operngeschichte, versetzt er vom Spanien des späten 17. Jahrhunderts in die norddeutsch-herbstliche Gegenwart.

Die Liaison mit Don Giovanni liegt hinter ihr, die Oper auch; Elviras nächste Runde

im großen Spiel um die ewige Liebe findet zu Liedern und Arien von Monteverdi bis Schumann statt. Eins ist gleich in der ersten Videoprojektion klar, wenn die Heldin mit verrutschter Perücke und zerrissenen Netzstrümpfen über eine nebelverhangene Allee stolpert: Zeitsprung und Temperatursturz bedeuten mit nichten ein Nachlassen an Leidenschaft, im Gegenteil. Die Sopranistin Catrin Kirchner spielt, tanzt, flucht, faucht und schreit ihre Figur anderthalb Stunden lang in einer Intensität, dass einem selbst als Frau himmelangst wird. Diese Elvira will immer jenes Quäntchen zu viel,

das dem anderen die Luft zum Atmen nimmt. Bei der ersten Begegnung im Park drängt sie ihm ihre Begleitung ziemlich auf. Wie sie ihm am Schluss beim Auseinanderdividieren der Wohnungseinrichtung vorwirft, er nutze sie aus,

nur weil er auf ihr Angebot "Nimm du die Couch" schlicht "Danke" antwortet,

statt ritterlich zu verzichten - das hat in seiner todtraurigen Komik das Zeug zum Loriot-Sketch. Kirchners Lust am Spiel trägt die ganze Produktion. Don Giovannis Verführer-Arie "Reich mir die Hand, mein Leben" münzt sie um in einen furiosen Slapstick: Sie lässt ein Essbesteck samt Spaghetti Mann und Frau spielen, schlüpft stimmlich in die jeweiligen Rollen und singt auch noch dazu. Dass das harte Arbeit bedeutet, merkt man allenfalls an ihrer Stimme. Ihr Timbre klingt manchmal allzu gaumig, die Vokale haben oft eine irritierend falsche Farbe. Doch sieht man dieser geistreichen, so amüsanten wie bestürzenden Performance solche Mängel gerne nach. Johannes Öllinger begleitet Kirchner so virtuos wie empfindsam, ob auf der

E-Gitarre, der klassischen Gitarre oder dem Banjo. Seine Arrangements verfremden unbekümmert, lassen aber auch Raum für den elegischen Schumann-Ton.

Zugleich gibt er den namenlosen Mann, einen konsequenten Anti-Don-Giovanni.

Um so deutlicher tritt hervor, dass er für die überdrehte Elvira nichts weiter als eine Projektionsfläche ihrer Sehnsüchte ist. Zu den Klängen von Monteverdi bricht die Gerupfte wieder auf ins Leben, nichts als einen Koffer in der Hand. Neues Spiel, neues Liebesglück? Verena Fischer-Zernin